Das Analyse-Intuition-Kontinuum

Analytisches Denken und Intuition sind gegensätzliche Pole derselben Dimensionen.

Ihre Charakteristiken schliessen sich tendenziell gegenseitig aus (siehe folgende Tabelle). Die Analyse ist logisch und deduktiv und bedarf einer bewussten, auf das gestellte Problem gerichtete Aufmerksamkeit. Im Gegensatz dazu werden intuitive Eingebungen begünstigt durch Aufmerksamkeitsentzug, mentale Entspannung oder dadurch, dass man «drüber schläft», wie man im Volksmund sagt (Duggan & Mason, 2013). Um es mit englischen Begriffen vereinfachend auf den Punkt zu bringen: Analyse ist eine «Online»-Problemlösungsstrategie und die Intuition eine «Offline»- Problemlösungsstrategie.

Die Herausforderung besteht darin, nicht eine der beiden Funktionsweisen zugunsten der anderen auszuschlies-sen, sondern sich bewusst zu werden, dass die beiden Systeme, die Wissen hervorbringen, interagieren und einander bereichern (auch wenn sie nicht gleichzeitig stattfinden können). Die beiden Funktionsweisen sind nicht unabhängig voneinander, denn beide greifen auf das Gedächtnis d. h. auf die Ergebnisse von bewussten oder impliziten Lernprozessen zurück (Duggan & Mason, 2013). Implizites Lernen, das meist während des Schlafs konsolidiert wird, beeinflusst das analytische Urteil. Explizites Lernen, das aus analytischem Denken resultiert, wirkt sich auf intuitive Urteile aus (Shapiro & Spence, 1997).

Während gewisse Methoden des strategischen Managements bevorzugt analytisches Denken begünstigen, fördern andere Methoden eher den spontanen Ausdruck. Auf die Frage nach dem Primat beim strategischen Ansatz – Intuition über analytisches Denken oder analytisches Denken über Intuition – gibt es keine allgemeingültige, dafür aber spezifische Antworten.

Welche der beiden Funktionsweisen bei der strategischen Orientierung zu bevorzugen ist, hängt vom Expertise-Niveau und der emotionalen Ladung der Person und von der Komplexität und der Struktur der sich stellen-den Probleme ab (Shapiro & Spence, 1997; Coget, 2013).

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Für die strategische Orientierung haben wir zwei methodisch interessante Dimensionen des Analyse-Intuition-Kontinuums hervorgehoben:

  • Das sequenziell-ganzheitliche-Kontinuum: Der eine Pol entspricht der Fähigkeit zu einem sequenziellen strategischen Vorgehen (nachfolgend in der «Strategischen Analyse» beschrieben); der andere Pol entspricht der Fähigkeit, sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen (holistische Assoziationen). Die Kombination beider Vorgehensweisen haben wir als iterativen, nicht linearen Prozess bezeichnet.
  • Das affektive Kontinuum: Ein Pol entspricht bei der strategischen Orientierung der Fähigkeit der «kalten» d. h. relativ emotionsladungsfreien Analyse, der entgegengesetzte Pol entspricht der Fähigkeit, Emotionen und Affekte einzubeziehen (was auch als emotionale Intelligenz bezeichnet wird).
DIE DIMENSIONEN DES ANALYSE-INTUITION-KONTINUUMS
(Nach Dane & Pratt, 2007; Epstein, 2013)
Die Dimensionen der Intuition Die Dimensionen der Analyse
Unbewusst und vorbewusst Bewusst
Affektiv geladen

Affektnah, auf Empfindungen von Freude oder Vermeidung von Schmerz ausgerichtet

Nicht affektiv geladen

Affektfern, auf Genauigkeit und Logik ausgerichtet

Holistisch

Ganzheitlich und parallel, nicht sequenziell

Sequenziell
Assoziativ Kausal
Irrational (evidenzbasiert) Rational
Induktiv, nicht fokussiert

Weites Feld

Deduktiv, fokussiert

Beschränktes Feld

Automatisch, spontan und passiv

Ohne Aufmerksamkeit und ohne offensichtliches Bemühen

Intentional und aktiv

Willentlich, absichtlich, mit Aufmerksamkeit und Bemühungen

Schnell

Gültigkeit aus persönlicher Überzeugung

Langsam

Gültigkeit aus logischer Schlussfolgerung und auf der Grundlage von Beweisen

Implizit

Unbekannte Regeln, Erfassung der Realität mit Bildern, Metaphern und Erzählungen

Explizit

Bekannte Regeln, Erfassung der Realität mit abstrakten Symbolen, Worten und Zahlen

Empirisch

  • Konstituiert sich auf der Grundlage von repetitiven oder intensiven Erfahrungen (verändert sich entsprechend langsam)
  • Organisiert in einem spezifischen Kontext aus Vorstellungen
Theoretisch

  • Konstituiert und organisiert sich auf der Grundlage von differenzierten Überlegungen (kann sich entsprechend schnell verändern)
  • Organisiert in einem allgemeinen Kontext aus Prinzipien  (wandelbar)
Subjektive Wahrscheinlichkeit Objektive Wahrscheinlichkeit
Zeitlich unbeschränkt Zeitlich beschränkt