Lässt sich Intuition erlernen?

Intuitive Urteile bergen immer ein mehr oder weniger grosses Fehlerpotenzial. Es geht nicht darum, blind unserer Intuition zu folgen. Gewisse Vorsichtsmassnahmen sollten eingehalten werden. Die wichtigste Vorsichtmassnahme besteht darin, jedes intuitive Urteil immer auch rational zu überprüfen. Auch sollte man die eigene Fähigkeit der Intuitionsanwendung schulen. Es handelt sich dabei nicht um klassisches, und noch weniger um standardisiertes Lernen, so wie man zählen lernt. Der Lernprozess ist eher vergleichbar mit dem Erlernen des Velofahrens.

Vielleicht ist das Wort «lernen» zu stark, da sich Intuition nicht bestellen lässt. Sie stellt sich von selbst ein. Das heisst jedoch nicht, dass man einfach abwarten und nichts tun soll. Es ist ähnlich wie das Finden des Gleichgewichts beim Velofahren. Der Velofahrer ist in Bewegung und das Velo fährt, angetrieben durch die auf die Pedale ausgeübte Kraft (die Motivation). Zwischen den Kräften, die durch den linken Fuss (intuitives Urteil) und den rechten Fuss (analytische Beurteilung) auf die Pedale gebracht werden, stellt sich ein Gleichgewicht ein.

Ein erster Schritt besteht in der Übung, sich mit den eigenen intuitiven Empfindungen vertraut zu machen (Unterscheidung zwischen Emotionen und Intuition). Dafür gibt es kein Wunderrezept und diese Übung gestaltet sich für jede Person anders. Ein Faktor ist jedoch besonders entscheidend: das Vertrauen in das eigene intuitive Urteil. Dieses Vertrauen gewinnt man durch das Feedback, dass man aus der Umgebung erhält, und nicht durch Magie und Aberglauben.

Auf die Konzentration auf die intuitiven Empfindungen folgt ein nächstes Übungsfeld: die Entwicklung der intuitiven Expertise.  Man darf sich aber nichts vormachen: Der Erwerb intuitiver Expertise in einem bestimmten Gebiet braucht Jahre. Unter gewissen Bedingungen kann dieser Prozess durch die Arbeit an sich selbst beschleunigt werden, wofür man seine Komfortzone verlassen muss. Wir stellen Ihnen ein paar Empfehlungen vor (Burke & Salder-Smith, 2013), die wir unter den folgenden Themen zusammengefasst haben: «Einen Schritt zur Seite machen», «Sich beobachten», «Erkunden und bildhaftes Vorstellen», «Ein adäquates Umfeld schaffen», «Blinde Flecken aufdecken».

EMPFEHLUNGEN ZUR ENTWICKLUNG INTUITIVER EXPERTISE
Verändert nach (Burke & Salder-Smith, 2013, pp. 241-242)
Themen Empfehlungen
Einen «Schritt zur Seite» machen
  • Analytisches Denken phasenweise ausschalten.
  • Dilemmata und Paradoxe akzeptieren.
  • Mentale Entspannung und Kontemplation praktizieren
  • Vergangene Erfahrungen Revue passieren lassen.
  • Die Aufmerksamkeit «defokussieren».
Sich beobachten

 

  • Intuitive Empfindungen von anderen, insbesondere von emotionalen Empfindungen unterscheiden.
  • Sich mit der eigenen intuitiven Funktionsweise vertraut machen.
  • Emotionen als Bestandteile der Funktionsweise des intuitiven Systems erkennen.
  • Ein systematisches Vorgehen entwickeln, um die eigenen Intuitionen wahrzunehmen, zu interpretieren und zu benennen.
Erkunden und bildhaftes Vorstellen
  • Verknüpfungen verschiedener Informationen mittels Erzählung, Vorstellung und mentaler Simulation erkunden.
  • Bilder und Metaphern verwenden (nicht nur Worte).
Ein adäquates Umfeld schaffen
  • Günstige oder weniger günstige Bedingungen für Intuition erkennen.
  • Die richtigen Feedbacks aus der Umgebung auswählen, um das intuitive Bewusstsein zu fördern.
  • Ein adäquates Umfeld schaffen (ohne negativen Stress), um die eigene Intuition weiterzuentwickeln.
  • Der Inkubation von Intuition Raum lassen (d. h. Räume schaffen, die vom zu lösenden Problem ablenken).
Blinde Flecken aufdecken
  • Sich der Verzerrungen von Intuition bewusst sein (Fehlerquellen erkennen).
  • Automatisierte Handlungen überdenken, bevor man sie ausführt («circuit breakers»).
  • Das intuitive Urteil anhand von Einwänden und Gegenargumenten überprüfen, um es zu festigen.
  • Zuverlässigkeitsindikatoren für intuitive Urteile entwickeln.