Auf dieser Seite finden Sie theoretische Grundlagen zur Prävention von ernsthaften Auseinandersetzungen, aber auch zum Umgang mit bereits bestehenden Konflikten und Streitigkeiten. Vorgestellt werden neben Konfliktdefinitionen auch die Regeln für eine faire Gesprächskultur, Stufen der Konflikteskalation, sowie bekannte Modelle der Konfliktbehandlung.

Diese Seite soll helfen, das Verständnis von Konflikten zu vertiefen und kann auch als Basis für Beratungsunterlagen beigezogen werden. Sie kann aber auch in der Praxis behilflich sein, da das Konfliktverständnis und die Konfliktfähigkeit im «Normalbetrieb» mit den hier aufgeführten Ressourcen verbessert werden können.

Alle Ausführung in diesem Kapitel basieren auf dem Grundlagenwerk von Friedrich Glasl: „Konfliktmanagement, ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater“, Stuttgart 2013.

Um die weiteren Ausführungen besser zu verstehen, lohnt es sich zu definieren, was unter einem Konflikt resp. unter einer Krise verstanden wird.

Definition Konflikt

Generell spricht man von einem Konflikt dann, wenn Interessen, Zielsetzungen oder Wertvorstellungen von Personen, sozialen Gruppen, Organisationen oder Staaten miteinander unvereinbar sind oder unvereinbar erscheinen.

Ein sozialer Konflikt entsteht zwischen Gruppen von Menschen, wenn wenigstens eine Gruppe Differenzen mit der anderen Gruppe hinsichtlich ihrem Denken, Vorstellen, Interpretieren, Fühlen und/oder Wollen erlebt. Und zwar Differenzen in der Art, dass für die eine Gruppe beim Umsetzen dessen, was sie denkt, fühlt oder will eine Beeinträchtigung durch die andere Gruppe erfolgt.

Eine Meinungsverschiedenheit ist aber noch kein Konflikt – es kommt darauf an, wie die betroffenen Menschen die Meinungsverschiedenheit erleben und wie sie damit umgehen können.

Definition Krise

Als Krise lässt sich eine Situation bezeichnen, die von einer Person oder einer sozialen Gruppe (Familie, Firma, Organisation, Staat, etc.) als existenzbedrohend wahrgenommen wird und nach kurzfristigen Entscheidungen und Massnahmen verlangt. Dabei wird das Krisenhafte dadurch verstärkt, dass sich die Entscheidungsträger/innen oft mit unvollständigen oder verfälschten Informationen konfrontiert sehen und die gewählten Massnahmen einschneidende Folgen für die Existenz der betroffenen Personen oder für das Fortbestehen der betroffenen sozialen Systeme haben.

Vgl. Friedrich Glasl: «Konfliktmanagement, ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater», Stuttgart 2013

Wo eine gute Streitkultur herrscht, kommt es meist gar nicht zu destruktiven Konflikten.

Nicht jede Person verträgt dabei aber gleich viel Offenheit. Deshalb sollten die Gesellschafterinnen und Gesellschafter klären, wo ihre persönlichen Grenzen liegen: was gehört in die Gemeinschaft, was bleibt privat – und was darf an die Öffentlichkeit, was nicht? Wie kann ich meinen Partner/innen unangenehme Botschaften so mitteilen, dass sie diese annehmen können? Und bin ich bereit, auf kritische Rückmeldungen ernsthaft einzugehen?

Hier ein paar Grundregeln der fairen Kommunikation

  • Eigene Aussagen als positive Ich-Botschaften formulieren:
    Immer von sich aus sprechen – «Ich finde …», «Ich fühle mich …», «Ich verstehe nicht …», «Ich bin …», «Ich wünsche mir …». Wenn möglich auf konkrete Situationen eingehen – Situation im Stall gestern, Unbehagen über die Einkommenslage, Wünsche für die kommende Erntesaison, etc.
  • Offenheit und Wahrhaftigkeit und der ehrliche Wille, das Gegenüber zu verstehen, sind erwünschte Grundvoraussetzungen für ein erfolgreiches Gespräch. Verzichten Sie auf: Beschimpfen, Anklagen, Drohen, Spott, Ironie, Lügen, Blockieren, Ablenken, Ausweichen.
  • Aufmerksam, mit Respekt und aktiv zuhören:
    Der sprechenden Person zugewandt ohne zu unterbrechen das Gesagte aufnehmen. Aussagen wiederholen und nachfragen, ob man es richtig verstanden hat («Habe ich richtig verstanden, dass, …»). Merke: Billiges tolerieren, ignorieren, innerlich blockieren oder abschweifen, eigene Verteidigung vorbereiten sind nicht Formen des Zuhörens.

Beispiele für Formulierungen, die das Gespräch in Gang halten

Eine Aussage wie «Immer kommst Du zu spät!» blockiert die Diskussion und verhärtet eine Beziehung.

Besser ist es, den konkreten Vorfall anzusprechen:
«Du bist heute 15 Minuten zu spät zu unserer Besprechung gekommen.»

Statt zu Schimpfen lohnt es sich, darauf einzugehen welche Gefühle der Vorfall auslöst, zu beschreiben wie es mir geht, wenn das passiert:
«Ich machte mir schon Sorgen, ob du unterwegs einen Unfall hattest.»

Dann soll man durchaus seine Bedürfnisse äussern:
«Ich habe auch noch viel zu tun und möchte gerne pünktlich beginnen können.»

Schliesslich darf man auch seine Wünsche und Lösungsvorschläge zum konkreten Vorfall aussprechen:
«Könntest du mir bitte das nächste Mal anrufen, wenn du dich verspätest?»

Dynamisierende Faktoren bei der Eskalation

Wenn ein Konflikt von einer kleinen Spannung zu einer Auseinandersetzung eskaliert, bei der die psychische oder physische Existenz der Konfliktparteien auf dem Spiel steht, dann wirken durch den ganzen Prozess einige wichtige, prägende Mechanismen und Faktoren:

Projektionsmechanismen

Fühlt sich eine Person bedroht, dann nimmt sie eher an, dass jemand anderer ihr Schaden zufügen will. Wenn die Konfliktparteien einander schlecht machen und Klischeebilder aufbauen, dann sieht man im Gegner oder in der Gegnerin oft die negativen Eigenschaften, die man an sich selbst kennt und abweist. Durch die Verschlechterung der Kommunikation nehmen die Projektionen noch weiter zu und sind schwer zu korrigieren.

Ausweitung und Simplifikation

Im Konflikt werden ständig – bewusst oder unbewusst – neue Streitpunkte eingebracht. Dies, um auf andere Gebiete auszuweichen, oder um die eigene Position breiter zu untermauern. Oder weil gefühlsmässig der Gegensatz in einer Sache auf andere Sachen ausstrahlt und dort abfärbt. Damit wachsen die Streitpunkte zu einer Lawine an — die Komplexität der Auseinandersetzung wächst.

Gleichzeitig nimmt die Fähigkeit ab, diese Komplexität zu bewältigen: Unser Aufnahmevermögen schrumpft, es entsteht «kognitive Kurzsichtigkeit». Weil durch die zunehmende Komplexität die Spannung immer grösser wird, neigt man dazu, alles zu simplifizieren. Dadurch kommen gerade wieder neue Spannungselemente hinzu.

Zunehmende soziale Komplexität und Personifizierung

Konflikte laufen häufig Gefahr, sich auf immer mehr Personen auszuweiten. Vom mikrosozialen Ereignis erreichen sie schliesslich makrosoziales Ausmass. Es tritt «soziale Ansteckung» auf. Die Parteien werden immer grösser und unübersichtlicher, man kann immer weniger den Personen selbst begegnen. Aber auf paradoxe Weise nimmt auch das Personifizieren zu: Auf bestimmte Personen konzentriert sich die Kritik. Je länger, desto mehr meint man: «Wenn wir Herrn X los sind, dann wird alles wieder gut! Er ist der Kern des Übels.» Man hat dann die Illusion, dass der Rest der Organisation danach wieder normal funktionieren könnte, wenngleich vielleicht schon die ganze Mitarbeiterschaft in den Konflikt miteinbezogen worden ist.

Pessimistische Antizipation

Sobald gegenseitiges Misstrauen vorherrscht, erwarten die Parteien voneinander wenig Gutes. Sie bereiten sich dann darauf vor, dass sie unerwartet angegriffen werden können. Darum rechnen sie «mit der schlechtesten der Möglichkeiten» und rüsten sich dagegen. Dadurch nimmt die Eskalationsgeschwindigkeit erheblich zu. Denn jede Partei möchte der anderen zuvorkommen.

Stufenweise Eskalation

Übersicht über die 9 Stufen der Konflikteskalation und deren Merkmalen

Ein Konflikt wird nicht unbemerkt allmählich intensiver, sondern in Stufen. Für jede Stufe gilt, dass andere Verhaltensweisen erwartet und akzeptiert werden. In der Praxis können sich die Konfliktparteien gut an die Übergänge von einer Eskalationsstufe auf die andere erinnern. Dies sind die «Wendepunkte», die «Bruchstellen», die eine Schwelle markieren. An dieser Schwelle können die Konfliktparteien vielleicht noch einmal zur Besinnung kommen und überlegen, ob sie nicht besser den Konflikt beenden wollen statt ihn weiter eskalieren zu lassen. Jede Eskalationsstufe hat eine Vielzahl von Merkmalen, die untereinander zusammenhängen und ein konsistentes Muster haben. Misslungene Lösungsversuche tragen oft ungewollt zur Vertiefung der Spannungen bei. Dennoch bemüht sich jede Seite noch, um mit der Gegenpartei an der Bewältigung der Konflikte zu arbeiten.

Die Eskalation kennt drei Hauptphasen: I, II und III. Jede Hauptphase lässt wieder drei Eskalationsstufen erkennen.

Hauptphase I:

In den ersten drei Stufen geht es um das Verhältnis zwischen Kooperation und Konkurrenz.

Stufe 1: Verhärtung

In der Diskussion verhärten sich Standpunkte und «kristallisieren» aus. Die Konfliktparteien schliessen sich oft nach aussen ab und erstarren in ihren Haltungen. Sie schwanken zwischen kooperativer und kompetitiver Einstellung hin und her und werden mehr und mehr befangen und gespannt. Gespräche kommen zeitweilig zum Stillstand. Dann bemüht sich jede Seite wieder um eine Fortsetzung des Gespräches.

Die Kommunikation leidet darunter, dass jede Seite stark selektiv zuhört und ihre Wahrnehmung filtert. Bei den Parteien tritt für kurze Zeit «Rollenkristallisation» auf. Dennoch bemüht sich jede Seite – wenn auch krampfhaft – noch um eine Fortsetzung der Problemlösungsgespräche.

Stufe 2: Debatte und Polemik

Unterschiedliche Standpunkte haben vor Beginn der Konflikte für Befruchtung und Leben gesorgt. Sie waren in Gesprächen in einer natürlichen Bewegung zu verbinden. Jetzt werden sie extrem polarisiert und fixiert. Denken, Fühlen und Wollen bewegen sich in Extremen. Die extremen Positionen schliessen sich gegenseitig aus. Jede Seite spricht ihre eigene Sprache und kann die Gedanken der Partnerin oder des Partners nicht mehr unvoreingenommen anhören. Die Auseinandersetzung wird von scheinlogischen Taktiken und Tricks bestimmt: Argumente werden benutzt, um die Gegenpartei im Gefühlsleben zu treffen und lächerlich zu machen. Die Auseinandersetzung ist nicht mehr lebendig und kreativ, sondern eher mechanisch: Auf ein Argument folgt ein Konterargument und darauf wieder ein Gegenargument. Ein intellektuelles Tennisspiel, das endlos weitergehen könnte. Jede Seite möchte der anderen ihre intellektuelle Überlegenheit zeigen. Es kommt zu vielen Formen von «Imponiergehabe», das seinerseits die Spannungen erhöht. Für diese Phase bieten die Erklärungsmodelle der Transaktionsanalyse (E. Berne, 1964) viele brauchbare Gesichtspunkte.

Kooperation und Konkurrenzhaltung wechseln einander jetzt ständig ab und tragen zur grösseren Verwirrung der Parteien bei.

Stufe 3: Taten statt Worte

Die Parteien können einander mit Worten nicht mehr erreichen und überzeugen. Darum tun sie jetzt einfach das, was sie selbst gut finden und stellen die Gegenseite vor vollendete Tatsachen. Jede Seite muss jetzt die Taten der Gegenseite beobachten und wird sie voll Argwohn und Misstrauen interpretieren. Durch die Diskrepanz zwischen verbalem und nonverbalem Verhalten nimmt das gegenseitige Missverstehen und Misstrauen weiter zu. Die Parteien schliessen sich als Gruppen gegenseitig ab. Sie können sich nicht mehr in das einfühlen, was in der anderen Partei umgeht. Empathie geht dabei völlig verloren und man kümmert sich nicht mehr viel um die Gedanken und Gefühle der anderen Seite. Innerhalb der Parteigruppen entsteht Konformitätsdruck und ein starkes Wir-Gefühl.

Hauptphase II:

Auf den nächsten drei Stufen rücken die subjektiven Faktoren in den Vordergrund. In dieser Phase treten stark die Mechanismen der «self-fulfilling prophecy» auf. Der psychische Abstand nimmt erheblich zu. Die Parteien meinen dann auch, dass sie miteinander die Konflikte nicht mehr lösen können. Auf diesen Stufen ist zumeist eine externe Hilfe unumgänglich. Mit den Stufen 4 bis 6 geht es nach Ansicht der Parteien um eine Haltung des «Gewinnens oder Verlierens», dazwischen scheint es für sie nichts Attraktives zu geben.

Stufe 4: Images und Koalitionen

Jede Partei macht sich von der eigenen Seite ein besonders positives und von der Gegenseite ein sehr negatives Bild: Die Gegnerin oder der Gegner weiss weniger, kann weniger, ist weniger attraktiv. Diese Bilder werden sehr stark fixiert und bei Begegnungen mit dem Gegner/der Gegnerin durch andere Fakten nicht mehr korrigiert, Man sieht nur noch das eigene Vorurteil bestätigt. Solche Vorurteile entstehen weitgehend durch psychologische Projektionen: In der Gegenpartei werden vor allem die störenden Eigenschaften erkannt, welche uns an uns selber unbewusst auch ärgern. Wir sehen aber den Dorn im Auge des Nächsten, um den Balken im eigenen Auge lassen zu können. Jede Seite versucht, den Konflikt auch in die Umgebung zu verlagern und Anhänger zu werben, die das eigene Bild teilen. Die Konfliktparteien manövrieren einander in extreme Rollen und bekämpfen einander gerade in diesen Rollen. Dabei sind die Mechanismen erkennbar, die P. Watzlawick/J. Beavin/D. Jackson 1968 beschrieben haben als «doppelte Bindungen» und «paradoxe Beziehungen». Man sucht die Gegenpartei als Sündenbock abzustempeln, um sie schlagen zu können. Aber man darf sie nicht vernichten oder verlieren, weil man sie ja als Sündenbock nötig hat.

Stufe 5: Gesichtsangriff und Gesichtsverlust

Die Parteien greifen jetzt gegenseitig auch das Gesicht an, d.h. die moralische Integrität des Gegners/der Gegnerin. Sie «demaskieren» einander, denn jede Partei erkennt im Gegner/der Gegnerin nur noch den negativen Doppelgänger, die Gesamtgestalt der negativen Persönlichkeitsmerkmale und nicht mehr das bessere, höhere Ich. Engel und Teufel stehen einander gegenüber. Dazu werden jetzt leidenschaftliche Ausstossungsrituale inszeniert (siehe vor allem E. Goffman 1955, H. Garfinkel 1974): Jede Partei meint, dass es ihre heilige Pflicht ist, die Gegenseite als Personifizierung des Bösen zu verurteilen. Jede ausgestossene Partei wird sozial weitgehend isoliert und gräbt sich in Selbstmitleid ein. Sie strebt verbittert nur noch nach Rehabilitation, weil der Glaube an die eigene Integrität tief erschüttert worden ist.

Stufe 6: Drohstrategien

Die Parteien möchten einander zum Nachgeben zwingen und sprechen Forderungen aus. Wenn diese nicht erfüllt werden, dann wird eine gewaltsame Aktion, eine Sanktion, in Aussicht gestellt, die erheblichen Schaden verursachen wird. Damit will jede Seite auf den Gegner/die Gegnerin Eindruck machen. Damit die Drohung mit einer Sanktion ernst genommen wird, muss die angedrohte Sanktion bereits teilweise ausgeführt werden.

Jede Seite versucht, den Druck auf den Feind zu erhöhen, indem sie sich selbst öffentlich an die Drohung bindet: «Wenn ich nicht … tue, dann soll ich Maier heissen!» So kann keine Partei mehr zurück, obwohl sie vielleicht später einsieht, dass das Ausführen der Drohung für sie selber sinnlos oder schädlich ist. Durch Ultimatum und Gegenultimatum nimmt der Zeitdruck zu. Die Folgen der Drohung greifen immer weiter um sich. Es werden mehr Koalitionspartner/innen aktiv in den Konflikt gezogen. Der Konflikt zieht immer weitere Kreise und ist schwer einzudämmen, weil die Parteien zu «Überreaktionen» neigen. Durch pessimistische Antizipation nimmt der Stress erheblich zu.

Hauptphase III:

Mit den vorhergehenden Eskalationsstufen 4 bis 6 hat eine ungeheure Radikalisierung stattgefunden. Die Konfliktparteien behandeln einander jetzt nur noch als ein «Ding», sie rechnen hauptsächlich mit quantitativen Grössen. Jede Seite hat den Glauben an die menschliche Würde der Gegnerin/des Gegners über Bord geworfen. In den letzten Stufen geht es nur noch um «Verlieren gegen Verlieren» («lose-lose Situation»), zu gewinnen gibt es nichts mehr.

Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge

Drohungen gehen in Aktionen über, um die Gegnerin/den Gegner an der Ausführung der Drohung zu hindern. Es werden vorerst nur die Mittel zerstört, mit denen die Sanktion der Drohung ausgeführt werden könnte. Es gibt nichts mehr zu gewinnen. Aber wenn der Feind mehr Schaden erlitten hat als wir, dann wird dies von uns als Gewinn erlebt. Schaden wird zu Freude (Schadenfreude); der Gegner/die Gegnerin wird gezwungen, Güter zu opfern; Lüge wird zur «Kriegstugend», moralische Werte werden in ihr Gegenteil verkehrt.

Stufe 8: Zersplitterung des Gegners

Wenn die Konfliktparteien Gruppen oder Organisationen sind, dann werden die vitalen Organe des Gegners/der Gegnerin angegriffen und funktionsuntüchtig gemacht. Die Beziehungen der Hauptstreiter/innen zur Hintermannschaft werden abgeschnitten. Durch Schwächung des inneren Zusammenhaltens und durch Lähmung wichtiger Funktionen wird die Gegenpartei zerschlagen. Sie desintegriert geistig, seelisch und physisch so weit, dass sie sich nicht mehr regenerieren kann.

Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund

Die Feinde sehen keinen Weg mehr zurück. Die totale Konfrontation zielt auf die endgültige Vernichtung des Gegners. Jede Partei ist hemmungslos zum Äussersten bereit, auch wenn dies Selbstvernichtung mit sich bringt. Im Untergang erleben sie noch einen Triumph: dass mit ihnen auch die Gegnerin/der Gegner in den Abgrund stürzt.

Mit welchen Kräften haben wir bei der Konflikteskalation zu tun?

Mit der Konflikteskalation können wir als Menschen bestimmte unmenschliche und unbewusste Kräfte zulassen und mobilisieren. Wenn sie einmal sozial wirken, dann drohen sie uns weiter mit sich zu reissen. Und doch eskalieren Konflikte nicht immer automatisch weiter bis zur letzten Stufe. In jeder Stufe können wir an der Schwelle zur nächsten Stufe wach werden und den Konflikt nicht tiefer eskalieren lassen, wenn wir es wirklich so wollen. Wenn wir diese Bewusstseinssignale überhören und uns von den aufkommenden Trieben und Leidenschaften völlig beherrschen lassen, dann wird die Zerstörung immer grössere Dimensionen annehmen.

Unbewusst verfügen wir über ein negatives Kraftpotenzial, das uns zu ungeheuren und unmenschlichen Taten befähigt. Im Konflikt wecken wir dieses Potential gegenseitig, in Kriegen kann es bewusst durch Aktionen der «psychologischen Kriegsführung» mobilisiert werden. Im Konflikt gehen Menschen in die tiefsten Regionen des Infernos, der Unterwelt, wie sie oft in Mythologien bildhaft beschrieben wird.

Für die Konfliktbehandlung ist die richtige Diagnose der Eskalationsstufe von eminenter Bedeutung für die Sofortmassnahmen, für die Wahl der richtigen Rolle und Strategie. Auf jeder Eskalationsstufe sind andere Interventionen wirksam. Jede Eskalationsstufe konfrontiert die Drittpartei auch mit anderen Unzulänglichkeiten und Chancen.

Tritt ein massiver oder chronischer Konflikt auf, kann ja nach Eskalationsstufe wie folgt vorgegangen werden:

1. Wenn Vertrauen und Kommunikation innerhalb der Gemeinschaft grundsätzlich noch intakt sind:
Eine Aussprache zwischen den betroffenen Personen vereinbaren. Dazu genügend Zeit an einem Ort einplanen, wo man nicht gestört werden kann. Während der Aussprache die Regeln für faire Gespräche ganz besonders beachten. Allenfalls beschlossene Massnahmen in einer Versuchsphase prüfen und danach deren Wirkung gemeinsam besprechen und wenn nötig anpassen.

2. Wenn das Vertrauen oder die Gesprächskultur zwar gefährdet sind, aber noch einigermassen funktionieren:
Eine Aussprache mit allen Gesellschafterinnen und Gesellschaftern vereinbaren, um den Streitpunkt wenn möglich intern auszuräumen. Während der Aussprache die Regeln für faire Gespräche ganz besonders beachten. Sich vorgängig über die Ziele des Treffens einigen und dessen Ergebnisse protokollieren. Die beschlossenen Massnahmen in einer Versuchsphase prüfen und danach deren Wirkung gemeinsam besprechen und wenn nötig anpassen.

3. Wenn das Vertrauen gelitten hat und die offene Kommunikation nicht mehr selbstverständlich ist:
Professionelle Unterstützung (Mediation, Coaching, Schlichtung) zur Konfliktlösung beiziehen und dafür das explizite Einverständnis aller Gesellschafter/innen einholen. Mit den Fachleuten die Ziele der Beratung klären und einen Zeit- und Kostenrahmen vereinbaren. Konstruktiv am Gesprächsprogramm der beigezogenen Fachperson teilnehmen und ernsthaft versuchen, die beschlossenen Massnahmen umzusetzen.

4. Wenn das Vertrauen zerrüttet ist und die offene Kommunikation nicht mehr funktioniert:
Zuerst mit einem Coaching prüfen, ob für die Gemeinschaft noch eine Rettungschance besteht. Falls ja beim vorherigen Punkt ansetzen.
Andernfalls nicht zögern, den Austritt eines Mitglieds oder die Auflösung der Gemeinschaft anzupacken. Dazu empfiehlt sich der Beizug einer Fachberatung, denn gerade bei der vorzeitigen Auflösung ist Fairness und Klarheit unter den Partnern oberstes Gebot. Oft braucht es dazu die Unterstützung sowohl einer Moderatorin/eines Coaches wie auch einer Treuhänderin/eines Betriebswirtschaftsberaters. Diese Investition lohnt sich aber auf jeden Fall. Denn ein chaotisches Ende, das sich unter Streitigkeiten hinzieht, wird nicht nur deutlich mehr kosten, sondern auch tiefe emotionale Wunden hinterlassen.

Auch bei der Auflösung dem Programm der Fachberatung konstruktiv folgen und die beschlossenen Massnahmen und Aufgaben ernsthaft und speditiv umsetzen. Wird die Auflösung einer Kooperation sauber und zügig angepackt, können sich die ehemaligen Partner/innen viel schneller wieder auf die eigenen Beine stellen und ihre Zukunft unbelastet neu gestalten.

Überblick: Indikatoren-Kompass:

Ansätze zur Konfliktbehandlung können mithilfe des «Indikatoren-Kompass» auf die Rahmenbedingungen der Konfliktsituation abgestimmt werden. Diese Rahmenbedingungen umfassen:

  1. Den aktuellen Eskalationsgrad: Auf welchen Eskalationsstufen befinden sich die Konfliktparteien? (siehe unten)
  2. Den Konflikttypus: Spielt der Konflikt in der Mikro-, Meso- oder Makro-Arena? Geht es um Friktion, Positionskampf oder einen Systemveränderungskonflikt? Wird heiss oder kalt gestritten?
  3. Die Rahmenvorgaben: Welche Art der Konfliktbehandlung ist von vornherein geboten bzw. ausgeschlossen?
  4. Generelle Kontextbedingungen kultureller, historischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Art: Erschwert eventuell die Kultur des Umfeldes eine bestimmte Art der Konfliktlösung?

Indikatoren-Kompass zur Konflikt-Behandlung

Um fundiert entscheiden zu können, wie bei der Konfliktbehandlung vorzugehen sei, muss erst eine grobe Orientierung und danach eine genaue professionelle Diagnose der Konfliktsituation vorgenommen werden. Kernpunkte der Diagnose bilden die vier Orientierungsrichtungen des Indikatoren-Kompass und deren Konsequenzen für die Strategie. Rollenwahl bei der Konfliktbehandlung werden im Folgenden kompakt erklärt (ausführliche Erläuterungen finden sich im erwähnten Grundlagenwerk von Friedrich Glasl: «Konfliktmanagement, Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater»1).

Aktueller Eskalationsgrad

Wenn Konflikte so intensiv geworden sind, dass das Vertrauen zwischen den beteiligten Parteien in die Brüche gegangen ist, dann ist ein anderes Vorgehen geboten, als wenn es sich nur um geringe Beeinträchtigungen der gegenseitigen Beziehungen handelt. lnterventionsmethoden, die für intensiv eskalierte Konflikte notwendig sind, wären für leichte Formen des Konflikts erdrückend und deshalb nicht sinnvoll. Umgekehrt gilt auch, dass die Methoden, die in leicht eskalierten Konflikten sehr wirksam sind, in Konflikten mit fortgeschrittener Eskalation einfach lächerlich wären.

Deshalb muss für jede professionelle Behandlung von Konflikten der Eskalationsgrad richtig eingeschätzt werden.
Eine Hilfe dazu bietet das Modell der neun Eskalationsstufen. Es zeigt, wie Konflikte intensiver werden und sich ausweiten. Eine Beschreibung der Stufen und der ihnen zugrunde liegenden Dynamik folgt in Kapitel 4.4 «Dynamik der Konflikteskalation».

Für die praktische Arbeit müssen wir aber die charakteristischen Erscheinungsbilder (Symptome) der einzelnen Stufen und deren Zusammenwirken (Syndrome) erkennen und verstehen können.

Auf den Eskalationsstufen 1 bis 3 können Methoden erfolgreich eingesetzt werden, die immer Eigenleistungen der Streitenden voraussetzen. Die Parteien werden dadurch stimuliert, sich für die Ansprüche der Gegenpartei zu öffnen, mit eigenen Lösungsideen zu kommen und selbst Verantwortung für die Anwendung bestimmter Methoden mit zu tragen.

Je tiefer jedoch der Konflikt über die Stufe 4 hinaus eskaliert ist, desto weniger sind die Konfliktparteien noch fähig, brauchbare Lösungsvorschläge zu finden. Die Lösungsideen wie auch die Methoden, mit denen am Konflikt fruchtbar gearbeitet werden kann, sowie das Setting, in dem die Verhandlungen oder Gespräche geführt werden, müssen darum immer mehr vom externen Mediator/in oder von der Konfliktberatung vorgegeben werden. Denn sobald die Schwelle zur Stufe 5 überschritten ist, kann zunächst nicht auf die Selbstheilungskräfte der Konfliktparteien gebaut werden. In Analogie zu Erkrankungen des menschlichen Organismus kann für soziale Systeme gesagt werden, dass vielleicht das «soziale Immunsystem» der Beteiligten nicht mehr intakt ist. Ähnlich wie bei schweren Krankheiten ist dann die Zerstörung der Selbstheilungskräfte das grösste Problem.

Wenn sich die Eskalation den Stufen 6, 7 und 8 nähert, muss die Drittpartei mit Macht ausgestattet sein, denn sie sollte vorübergehend Lösungen auch gegen den Willen der Konfliktparteien durchsetzen und bei Missachtung von Vereinbarungen Sanktionen verhängen können. All das erfordert andere Vorgehensweisen als die der herkömmlichen Mediation. Es wäre unrealistisch, diese Konflikte – aus idealistischen und ideologischen Erwägungen – mit nicht-direktiven Interventionen bearbeiten zu wollen.

Verknüpfung der Ansätze für Konfliktmanagement und Mediation mit den Eskalationsstufen

Die in Abb. 4.3.2 angeführten Ansätze sind für verschiedene Stufen des Eskalationsmodells angezeigt. Empirische Forschungen zu diesen Ansätzen zeigen, dass mit zunehmender Eskalation die direktiven Elemente (in Bezug auf die inhaltlichen Streitpunkte, das Setting und die gewählte Methode) zunehmen müssen, wenn wirksame Veränderungen erzielt werden sollen.

Die überlappenden Ansätze in der schematischen Übersicht der Abb. 4.3.2 besagen, dass sich die Anwendungsbereiche überschneiden. Es hängt vom Konflikttypus ab, ob z.B. auf Stufe 3 Moderation (bzw. Supervisory Mediation) oder Prozessberatung (bzw. Facilitating oder Transformative Mediation) mehr Erfolg verspricht.

Die verschiedenen Vorgehensweisen der Konfliktbehandlung mit ihren Rollenkonzepten werden in den nachfolgenden Modellen (a) bis (f) zusammengefasst. Dabei ist zu beachten, dass die erfolgreiche Anwendung der erwähnten Methoden sehr anspruchsvoll ist und eine Menge an Fachkompetenz und Erfahrung voraussetzt. Je weiter ein Konflikt eskaliert ist, umso mehr muss das Konfliktmanagement ausgewiesenen Fachleuten anvertraut werden.

a) Moderation, Supervision, bzw. Scrivener Mediation (Supervisory Mediation):

Hier geht es mehr oder weniger um protokollarische Funktionen, etwa um einen Gesprächsvorsitz oder die Führung eines Protokolls durch eine unbeteiligte Person, oder um minimale Eingriffe. Hierfür ist eine gute Kenntnis der verbalen und nonverbalen Kommunikation sowie ihrer Pervertierungen erforderlich. Überdies sind Techniken wichtig für Problemanalyse, Kreativität, Entscheidungen, Moderation usw. (Anleitungen finden sich z.B. in Seifert J. «Visualisieren – Präsentieren – Moderieren», Offenbach 2001). Mit diesen Techniken soll die Selbsttätigkeit der Konfliktparteien zur Lösungsfindung stimuliert werden.

b) Prozesskonsultation, Prozessbegleitung, Prozessberatung, bzw. Supervisory Mediation, Facilitating Mediation, Transformative Mediation:

Diese Ansätze sehen bewusst keine zu tiefen Interventionen vor, sondern animieren und unterstützen im Sinne eines Supervisionsprozesses die Konfliktparteien, ihre Probleme selbsttätig zu lösen. Die Prozessberatung verbindet sich für einige Zeit mit den Klienten, um alte Denk- und Handlungsmuster abzubauen und neue zu entwickeln und zu verankern.
Zu den wichtigsten Methoden gehören Perzeptionsklärungen (u.a. nach Blake/Shepard/Mouton: «Managing intergroup conflict in industry», Ann Arbor, Houston 1964; oder Burton: «Conflict and communication», London 1969).
Für Facilitating Mediation ist die von Besemer («Mediation», Baden 1995) beschriebene Methodik repräsentativ für das heute im deutschsprachigen Raum am meisten verbreitete Konzept. Es verbindet Facilitating Mediation mit supervisorischer Mediation und mit Anteilen der Transformativen Mediation.
Durch Transformative Mediation nach Bush und Folger («The promise of mediation», San Francisco 1994) werden Haltungs- und Beziehungsveränderungen angestrebt, die in einem längeren und tiefer schürfenden Begleitprozess erreicht werden können.

c) Sozio-therapeutische Prozessbegleitung; bzw. Therapeutic Mediation:

Mit diesen Interventionen wird der grösste Tiefgang angestrebt, wodurch pathologisch gewordene Beziehungs- und lnteraktionsmuster wieder aufgelöst werden können. Dazu müssen Fragen der individuellen oder kollektiven Werte und Ideale bearbeitet werden. So kann ein neues Selbstverständnis entstehen als Grundlage für eine offenere Begegnung mit dem bisherigen Feind. Therapeutic Mediation integriert heute sozio-therapeutische Interventionsmethoden, z.B. zum Auflösen paranoider Deutungsmuster bei den Konfliktparteien, so dass sie auch in schwierigen und tief eskalierten Konflikten erfolgreich eingesetzt werden kann.

d) Klassische Vermittlung, Klassische Mediation; Shuttle Mediation, Structured Mediation:

Dieser Ansatz entspricht der klassischen «Pendel-Diplomatie», die durch Dreiecks-Verhandlungen einen Kompromiss anstrebt. Für dieses Vorgehen bietet der Harvard-Ansatz wirksame Methoden (Fisher, Ury, Patton: «Das Harvard-Konzept», Frankfurt/New York 1995).

e) Fakultative oder obligatorische Schiedsverfahren, Gerichtsverfahren; Mediation and Arbitration (MedArb), Court-connected Mediation, Celebrity Mediation:

Die Konfliktparteien erarbeiten nicht mehr eigene Lösungen, sondern akzeptieren (freiwillig oder gezwungen) die Entscheidung der Drittpartei. «Medarb» ist die Verknüpfung von «Mediation and Arbitration». Sie wird jedoch von vielen Vertreter/innen und Praktiker/innen der Mediation als unzulässig abgelehnt. Auch mit dem Begriff «Court-connected Mediation» sind formalisierte und ritualisierte Verfahren gemeint, die den Konfliktparteien die Lösungen autoritativ auferlegen. «Celebrity Mediation» wird von hochangesehenen Personen des öffentlichen Lebens durchgeführt (z.B. von Expräsident Jimmy Carter) und lebt von deren moralischer Autorität. Durch ihre Reputation können sie moralischen Druck erzeugen und Lösungen suggerieren.

f) Machteingriff; Power Mediation, Muscle Mediation:

Die Bezeichnungen verraten, dass es um den Einsatz von Drohung, Zwang und Macht geht, was jedoch mit Mediation kaum mehr zu vereinbaren ist.

Der Konflikttypus

1. Die Reichweite des Konflikts

Es ist ein unterschiedliches Vorgehen erforderlich, wenn der Streit um einige isolierte Fragen geht (Friktion), oder um einen Positionskampf, oder um die grundlegende Veränderung einer Organisation (Systemveränderungskonflikt). Beim ersten Typus reichen Streitpunkt-orientierte Methoden aus, die vor allem der Harvard-Ansatz oder das Konzept von De Bono (1998) bietet. Hingegen ist beim dritten Typus Kompetenz für Organisationsentwicklung bzw. Community Development unbedingt notwendig.

2. Die Konflikt-Arena

Wenn ein Konflikt in der «Mikro-Arena» spielt (in Kleingruppen, wo jeder jedem persönlich begegnet), kann ganz direkt auf die Wahrnehmungen der Konfliktparteien, auf ihr Denken, Fühlen, Wollen und Handeln eingewirkt werden, so dass mit der Arbeit an den Beziehungen der Konflikt geklärt bzw. konstruktiv gelöst werden kann.

Bei Konflikten in der «Meso-Arena» (Abteilungen, Bereiche, Unternehmensteile) mit mannigfaltigen strukturellen Vorgaben und Zwängen, genügt es nicht, an den intraindividuellen und interpersönlichen Problemen zu arbeiten. Es muss darüber hinaus auch auf die unpersönlichen und metapersönlichen Aspekte (z.B. Organisationskultur, Struktur usw.) und die Dynamik dieser Systeme eingegangen werden.

In einem Konflikt, der in der «Makro-Arena» spielt, also in der Gesellschaft, in einem Land, zwischen politischen Strömungen usw., wären sozio-therapeutische Ansätze nicht wirksam. Was bei der Lösung von Familienkonflikten hilfreich ist, kann bei der Übertragung auf politische Systeme zur Katastrophe werden! Wenn in der Makro-Arena der Konflikt auf der Eskalationsstufe 5 gelandet ist, wird es kaum möglich sein, auf der Bühne der Öffentlichkeit mit sozio-therapeutischen Ansätzen zu arbeiten. Hier wird es zum Austauschen der Personen kommen, die ihre Glaubwürdigkeit verspielt haben, so dass die Strategien der klassischen Vermittlung (Shuttle Mediation bzw. der Celebrity Mediation) zur Anwendung kommen. Aber weil in jedem Makro-Konflikt auch Mikro-Konflikte inbegriffen sind, beispielsweise mit den Mitgliedern einer offiziellen Delegation, kann – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – mit den Kernpersonen der Delegation durchaus sozio-therapeutisch gearbeitet werden.

Die überlappenden Anwendungsgebiete der genannten Formen der Konfliktbehandlung werden durch die unterschiedlichen Austragungsformen von Konflikten bedingt.

3. Die Austragungsformen der Konflikte

Konflikte können sowohl auf heisse als auch auf kalte Art eskalieren. Eine Reihe von Faktoren führt dazu, dass entweder ganz offen und direkt gestritten wird (heiss), oder dass Konflikte hinterrücks und verdeckt (kalt) ausgetragen werden.

Gegensätzliche Tendenzen der Austragungsformen von Konflikten
Heisse Konflikte Kalte Konflikte
Die Streitenden begeistern sich für ihre «Erreichungsziele» Die Konfliktparteien verfolgen überwiegend «Verhinderungsziele»
Die Konfliktparteien wollen die Gegner/innen vordergründig überzeugen oder „bekehren“ Die Streitenden wollen die Gegner/innen blockieren und paralysieren durch Ironie, Zynismus, Sarkasmus
Die Kämpfenden sind übereifrig auf Eroberung und Expansion ausgerichtet Die Konfliktparteien zerstören gegenseitig den internen Zusammenhalt: «soziale Erosion» tritt auf
Es kommt zu emotionalen Explosionen: Angreifende sowie Angegriffene zeigen Ärger, Schadenfreude oder Triumph; extrovertiertes Verhalten ist bestimmend Die Kämpfenden zeigen als Angreifende oder Angegriffene keine Emotionen, vorhandene Emotionen entladen sich als Aggression und Selbstvorwürfe gegen sich selbst
Offene Reibungen, Widerspruch und Konfrontationen werden oft als lustvoll erlebt, wie ein sportliches Kräftemessen Direkte Begegnungen werden vermieden; die Parteien ziehen sich in den Hinterhalt zurück – die Vermeidungszonen (und Tabuthemen) wachsen
Die Konfliktparteien negieren Vorschriften, um ungehindert kämpfen zu können; aggressive Aktionen durch Einsatz persönlicher Gewalt Die Konfliktparteien exponieren sich nicht als Aggressoren, schieben Regeln und Prozeduren vor; mobilisieren anonyme «Systemgewalt»
Durch Konfrontationen kommt ein Gefühl der Überlegenheit auf; Übermut und Siegesrausch verführen zum Überschätzen der Gewinnchancen Angst und Ohnmacht zerstören das Selbstwertgefühl; durch kollektive Depression sehen die Beteiligten keine Chancen für konstruktive Lösungen

Ob der Konflikt heiss oder kalt ausgetragen wird, hat für das Vorgehen Konsequenzen. Abstrakt gesagt: Ein kalter Konflikt muss mit eskalierenden Massnahmen erst etwas „angewärmt und aufgetaut“ werden, und ein heisser Konflikt muss vorerst „abgekühlt“ werden. Wenn sich ein kalter Konflikt auf Eskalationsstufe 3 befindet, muss mit den Konfliktparteien bei einer Mediation vorerst so lange getrennt gearbeitet werden, bis sie wieder ein ausreichendes Selbstwertgefühl entwickelt haben. Bei heissen Konflikten kann hingegen noch auf Stufe 4 gemeinsam gearbeitet werden, z.B. mit der Methode der «Confrontation Meetings» von Beckhard («The confrontation meeting», New York 1969). Mit Erreichen der Stufe 5 empfiehlt sich auch bei heissen Konflikten, zu Beginn mit den Parteien getrennt zu arbeiten. Nach erfolgreichen Interventionen gleichen sich später die Vorgehensweisen bei kalten oder heissen Konflikten an. Dies sind nur einige der Besonderheiten, auf die zu achten ist.

4. Rahmenvorgaben für die Konfliktbearbeitung

In vielen Situationen gelten von vornherein einschränkende Rahmenvorgaben bzw. Bedingungen. Wenn sich ein Ehepaar zur Scheidungsmediation durchgerungen hat, wäre die Ambition, mit einer «Therapeutic Mediation» die Ehe vielleicht wieder kitten zu können, fehl am Platz. Ebenso wenn eine in Mediation geschulte Beamtin oder ein geschulter Beamter eines Sozialamtes einer zerrütteten Familie eine Sozialhilfe auszuzahlen hat und dabei meint, Familienmediation machen zu müssen. Das kann problematisch werden, weil für die Beamtin/den Beamten dazu weder die finanziellen noch die auftrags- und verfahrenstechnischen Voraussetzungen gegeben sind.

Rahmenvorgaben können auch zur Folge haben, dass es gar nicht zur Annahme eines Mediationsauftrages kommt. Vielleicht kann dann mit einem anderen Ansatz immerhin der Schaden begrenzt werden, wenngleich die Konfliktpotenziale nicht wirklich bearbeitet werden.

5. Kontextbedingungen

Mediation und Konfliktmanagement müssen auch auf die sonstigen Kontext-Bedingungen Rücksicht nehmen. Das sind kulturelle (religiöse), historische, rechtliche und wirtschaftliche Faktoren.

Dazu einige Beispiele: Traditionelle schwarzafrikanische Kulturen sind in der Regel weisheitsorientiert, weil Schiedssprüche eines eingeweihten Stammesfürsten hohe Akzeptanz geniessen. Hingegen herrscht in westlichen Industrieländern eine pragmatische Verhandlungskultur vor, die der klassischen Mediation offener gegenüber stehen. In maskulin orientierten Kulturen werden auf den ersten Blick Mediatorinnen und Beraterinnen einen schweren Stand haben. In ehemaligen Kolonien Englands wie in Sri Lanka müssen Mediatoren und Beraterinnen aus England auf starke Vorbehalte gefasst sein, während norwegische, schweizerische oder österreichische Vermittler mit einem Bonus rechnen dürfen.