Zusammenschluss von Organisationen als Chance?

Im Jahr 2000 fusionierten die ausschliesslich weibliche Luzerner Bäuerinnenvereinigung und der überwiegend männliche Luzerner Bauernverband zum „Luzerner Bäuerinnen – und Bauernverband“. Im Rahmen des Projekts PFO haben wir die Geschichte dieses in der Schweizer Landwirtschaftsszene einmaligen Zusammenschlusses genauer aufgezeichnet und versucht, ihre Wirkung zu analysieren.

Dazu konnten wir das umfangreiche Archiv des LBV nutzen und haben mit vier ehemaligen und acht aktuellen Protagonistinnen und Protagonisten des Verbandes Leitfadeninterviews zur Fusion und deren Wirkung durchgeführt. Die Zusammenarbeit mit dem LBV war sehr offen und konstruktiv, und die aktiven Mandatsträgerinnen und Mandatsträger zeigten sich sehr interessiert an der Weiterentwicklung und Vertiefung des Zusammenschlusses im LBV.

Verlauf, Auswirkungen und Beurteilung der Fusion des LBV wurden in einem ausführlichen Bericht zusammengefasst. Link zum vollständigen Bericht zur Fusionsgeschichte des LBV.

Eine Kurzfassung dieser Arbeit, die auch ins Französische übersetzt wurde, kann einfacher verteilt und schnell gelesen werden und so Frauen und auch Männer dazu motivieren, ähnliche Fusionsprozesse in ihren Organisationen anzustossen.
Link zum Kompaktbericht Fusionsgeschichte LBV.

Die Fusionsgeschichte zum Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband in Zahlen: 

  • 1972: Fusion der „Luzerner Bäuerinnenvereinigung“ mit der Gruppe „Landfrau“ des kantonalen katholischen Frauenbundes zum „Luzerner Bäuerinnenverein“
  • ab 1972: 2 Bäuerinnen als Gastmitglieder ohne Stimmrecht an Vorstandssitzungen des Luzerner Bauernverbandes
  • ab 1991: Der Bäuerinnenverein erhält 20 Stimmrechte (von total 750) bei Delegiertenversammlungen des Bauernverbandes.
  • ab 1998: Eine gemeinsame Arbeitsgruppe erarbeitet Vorschläge zur Integration der Bäuerinnen in den Bauernverband.
  • 1999: Der Luzerner Bäuerinnenverein wird an seiner Delegiertenversammlung mit grossem Mehr aufgelöst.
  • 2000: Vereinbarung zur Einbindung der Bäuerinnen im künftigen LBV (eigene Kommission, Mindestquote Vorstand)
  • 2000: Der Bauernverband ändert seinen Namen in „Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband“ und integriert Tätigkeiten, Vermögen, Mitglieder (via Betriebe) sowie Rechte und Pflichten des ehemaligen Bäuerinnenvereins.

⇒ Die strukturellen Veränderungen durch die Fusion des LBV sind hier dargestellt: Grafik Veränderung LBV 

Stolpersteine

  • Interessenvertretung: Frauenverbände vertreten „Bäuerinnen“ und „Landfrauen“, Männerorganisation nur „Bauern“: Der Zusammenschluss zum LBV war nur möglich, weil beim Bäuerinnenverein zur Zeit der Fusion keine Landfrauen mehr dazugehörten.
  • Die formelle Fusion zieht nicht automatisch die volle gleichberechtigte Integration der Frauen nach sich:
    Der Frauenanteil bei Gremien und Delegiertenversammlungen des LBV liegt seit 2000 unverändert unter 25%.
  • Eine Fusion kann zum Verlust der Selbständigkeit der Bäuerinnen führen: Die Luzerner Bäuerinnen befürchteten vor der Fusion, von den Bauern abhängig zu werden – heute nicht mehr.
  • Die geschlechterunabhängige verbandsinterne Aufgabenteilung folgt weiterhin einem traditionellen Muster, das zeigt die Aufgabenverteilung im LBV: Bäuerinnen kümmern sich v.a. um Hauswirtschaft und Soziales, Männer v.a. um Wirtschaft, Politik, Produktionstechnik.
  • Als Top-down-Prozess erreicht der Zusammenschluss die regionale und kommunale Ebene nicht: Bei einigen regionalen Sektionen des LBV ist die Fusion noch nicht vollzogen und kommt nur langsam voran; insbesondere ältere Organisationen definieren die Mitgliedschaft über die Bewirtschafter von Landwirtschaftsbetrieben und können/wollen deshalb nur zögerlich Bäuerinnen aufnehmen.
  • Die Koordination der Mandatsaufgaben mit Betrieb, Hauswirtschaft und Familie ist für die Frauen nicht immer einfach zu regeln: Mandatsträgerinnen kommen v.a. bei der Sorgearbeit in ihren Familien unter Zeitdruck – oder lehnen das Amt ab.
  • Die Höhe der Entschädigung spielt für die Annahme oder Ablehnung eine Funktion in einer Organisation eine Rolle: Der LBV entschädigt auf kantonaler Ebene angemessen, bei regionalen/kommunalen Organisationen ist jedoch die Verbandsarbeit meist ehrenamtlich.

Erfolgsfaktoren

  • Angleichung statutarischer Bedingungen: Bereits vor der Fusion sollten die Statuten zwischen Bäuerinnen- und Bauernorganisationen aufeinander abgestimmt werden (bzgl. Name, Zweck, Mitgliedschaft, Organe, Entscheidungsprozesse, Aufgabenteilung, Finanzierung etc.), das erleichtert die Fusionsverhandlungen deutlich.
  • Gemeinsame Drehscheibe: Mit einer gemeinsamen professionellen Geschäftsstelle kann eine fusionierte Organisation beträchtliche Kostensenkungen und einen grossen Effizienzgewinn realisieren. Den Bäuerinnen stehen so ein breiteres Netzwerk, grössere öffentliche Wahrnehmung und mehr Finanzmittel zur Verfügung.
  • Grössere Meinungsvielfalt: Bei geschlechtergemischten Organisationen wird eine breitere Palette von Standpunkten diskutiert, werden angemessenere Lösungen gefunden und Informationen durch ein vielfältigeres Netzwerk ausgetauscht.
  • Selbstermächtigung: Mandatsträgerinnen werden durch den Zuwachs an Einfluss und Fachkompetenz sowie die soziale Horizonterweiterung motiviert, die sie mit ihrem Engagement erzielen.
  • Förderung auf allen Ebenen: Wenn schon vor einer Fusion konkrete Massnahmen zur Förderung und Rekrutierung weiblicher Kandidatinnen für Mandate auf allen Verbandsebenen eingeleitet werden und man bereits während der Vorbereitung auch die regionalen und kommunalen Vereine miteinbezieht, kann die informelle Integration der Frauen schneller und gründlicher erfolgen.