Rollen hinterfragen und neu definieren

Ein weit verbreiteter Hinderungsgrund für den Einstieg von Frauen in landwirtschaftliche Organisationen sind bestehende Rollenvorstellungen und -zuschreibungen. Im eher konservativen landwirtschaftlichen Umfeld sind die Rollen, die Frauen zugestanden werden bzw. die Frauen von sich aus wählen und annehmen, häufig noch traditionell. Dies beginnt mit den Rollen und Zuständigkeiten in der Familie und setzt sich auf dem Betrieb fort. Hinzu kommt, dass ein Engagement von Frauen bzw. engagierte Frauen selbst zum Teil negativ bewertet werden. Dies trägt dazu bei, dass Frauen in landwirtschaftlichen Gremien ausserhalb der klassischen Frauenthemen kaum präsent sind.

Neue Modelle für Partnerschaft, Familie und Zuständigkeiten auf dem Betrieb

Rollen zu hinterfragen und Vorbilder für eine Neuverteilung von Rollen und Zuständigkeiten aufzuzeigen, ist also bereits auf Ebene der bäuerlichen Familien wichtig. Engagierte Frauen berichten, dass sie von ihrer Familie Rückhalt für ihr Engagement erhalten. Teilweise nennen die Frauen Personen, die bei Bedarf aushelfen können – etwa eine Grossmutter, Betriebsangestellte oder Haushaltshilfen. Dennoch ändert das Engagement in der Regel nichts an der klassischen Rollenaufteilung in der Familie und auf dem Betrieb. Damit sind es vor allem die Frauen, die mit der Herausforderung konfrontiert sind, Familie und Engagement miteinander zu vereinbaren.

Wenn man aufzeigt, dass es auch anders gehen kann, wenn man Familienmänner bzw. Männer mit „neuen“ (nicht-traditionellen) Rollen zu Wort kommen lässt und ebenso Frauen porträtiert, die als Unternehmerin, Betriebsleiterin oder Leiterin eines Betriebszweiges ihre Frau stehen, könnten auch andere Frauen und Männer dazu ermutigt werden, die bestehende Aufteilung der Rollen zu hinterfragen und neue Wege zu gehen. Das hiesse allerdings auch eine Abkehr von dem in den Medien vorherrschenden Bild der traditionellen bäuerlichen Familie. Vielmehr würde es darum gehen, aktiv neue Familienmodelle aufzuzeigen und in der Kommunikation und Werbung voranzustellen. Das wäre auch eine Chance, ein offenes und modernes Bild der Landwirtschaft zu vermitteln. Die Entwicklung von Rollenbildern, welche ein ausgewogeneres Verhältnis von Frauen und Männern in landwirtschaftlichen Organisationen fördern, ermöglicht den Beteiligten eine höhere Vielfalt bei der Rollengestaltungen.

Engagierte Frauen als Vorbilder

Der Ansatz, engagierten Frauen eine Bühne zu geben und Vorbilder aufzuzeigen, wurde bereits im Rahmen des Projekts PFO verfolgt. Die im Rahmen einer Pilotmassnahme umgesetzten Filme „Engagierte Frauen“ heben das Engagement von Frauen hervor und motivieren andere Frauen, den vorgestellten Beispielen zu folgen. Die Filme behandeln vier zentrale Themen, die häufig Bremsen für das Engagement von Frauen darstellen und zeigen auf, wie engagierte Frauen damit besser umgehen können.

Arbeitsaufteilung zwischen den Organisationen hinterfragen

Die traditionelle Rollen- bzw. Themenaufteilung in den Familien und im Betrieb wird in der Arbeitsaufteilung zwischen den landwirtschaftlichen Organisationen (namentlich mit der Trennung von Frauenorganisationen und stark von Männern dominierten Berufsorganisationen) tendenziell fortgesetzt. Zudem führt die unterschiedliche finanzielle Situation der Organisationen dazu, dass Frauen für ihr Engagement auch finanziell eine andere Ausgangslage vorfinden. Nicht entlohnte Milizarbeit erschwert es – aus finanzieller Sicht – Engagement, Familie und Betrieb miteinander zu vereinbaren und wirkt sich auch auf die Möglichkeiten der Frauen aus, sich in bestehenden Netzwerken einzubringen und ihr eigenes Netzwerk zu erweitern.

Es ist schon klar: Die Arbeitsaufteilung zwischen den Organisationen zu erneuern ist grosser Schritt. Zwischen den beiden Polen „rasch und aktiv Veränderungen anstreben“ und „die Veränderung kommt mit der Zeit von selbst“ ist diese Aufgabe wohl sehr nahe am erstgenannten Pol anzusiedeln. Dazu braucht es Mut und ein veränderungsfreudiges Umfeld. Unmöglich ist es nicht, wie die Fusion zum Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband LBV aufzeigt. Und zugleich lässt sich von dieser Fusion einiges für kommende ähnliche Vorhaben lernen.

Und wenn wir schon beim Thema sind: Hinterfragen könnte man auch die Aufteilung der landwirtschaftlichen Berufsbildung in „Landwirt/Landwirtin“ und „Bäuerin/bäuerlicher Haushaltsleiter“. Denn auch wenn die beiden Bildungswege grundsätzlich beiden Geschlechtern offen stehen, so führen die bestehenden Rollenvorstellungen dazu, dass Frauen nicht sehr oft zu Landwirtinnen werden und sich bisher praktisch kein Mann zum bäuerlichen Haushaltsleiter ausbilden liess – mit Folgen für das Engagement von Frauen in landwirtschaftlichen Organisationen.

Rollen und Aufgaben im Vorstand im Fokus

Ein erfolgsversprechender Ansatz könnte auch sein, die Rollenverteilung im Vorstand zu hinterfragen und gemeinsam neu zu definieren. Dies würde nicht nur für die Frauen, sondern für die beteiligten Männer Chancen eröffnen und ihnen mehr Spielraum verschaffen. Aktuell wird die Bedeutung von Fachwissen für ein Engagement sowohl von Gremienmitgliedern als auch von vielen  Frauen hoch eingeschätzt. Fehlen aufgrund anderer Ausbildungswege und Zuständigkeiten spezifisches Fachwissen und Erfahrungen, so fühlen sich besonders Frauen oft nicht für ein Amt legitimiert.

Nur wenige Frauen sind ausgebildete Landwirtinnen und ihre Zuständigkeiten auf dem Hof sind meist noch „klassisch“ in Haushalt, Kinderbetreuung und Garten. Damit fehlt den Frauen (vermeintlich) betriebs- und produktionstechnische Wissen und sie bringen sich zu diesen Fragen kaum ein. Die Bedeutung dieses Wissen wird aber gerade für die Vorstandsarbeit in landwirtschaftlichen Organisationen sehr hoch eingeschätzt. Es herrscht die Meinung vor,  insbesondere die Präsidentin oder der Präsident sollte hier kompetent sein.

Doch muss das zwingend so sein? Nicht alle Kompetenzen müssen in der Person der Präsidentin oder des Präsidenten vereint sein. Vorstandsmitglieder bringen unterschiedliche fachliche und soziale bzw. persönliche Kompetenzen ein und könnten einander gut ergänzen. Eine offene Diskussion der Rollen und Kompetenzen im Vorstand könnte dabei helfen, Aufgaben neu zu verteilen und Frauen – wie Männern – das Engagement erleichtern. Vorstandsarbeit als Teamarbeit, in der sich jede und jeder mit den eigenen Kompetenzen gut einbringen und weiterentwickeln kann: Das wäre ein für alle gewinnbringender und vor allem auch motivierender Weg, der mehr Frauen zu einem Engagement in landwirtschaftlichen Gremien ermutigen könnte.

Links zu konkreten Angeboten, die weiterhelfen:

Ausbildungsangebot in der Landwirtschaft:
Organisation der Arbeit AgriAliForm
Ausbildung zum Landwirt/zur Landwirtin
Ausblidung zur Bäuerin/zum Bäuerlichen Haushaltleiter

Angebote von Agridea:
Angebote der AGRIDEA im Bereich Organisationsentwicklung