Die Erfahrungsberichte schildern Fälle aus der Sicht einer Landwirtin oder eines Landwirts. In der Tabelle kommentiert ein/e Fachexpert/in den Fallverlauf.

Ausgangslage

Der Standort des 40-Kuh-Betriebes (inklusive 4000 Mastpoulets) befindet sich direkt zwischen einer Bahnlinie und einer 132-KV-Starkstromleitung der SBB. Im Jahre 2006/2007 wurde ein neuer Laufstall mit Blitzschutzanlage und Potenzialausgleich gebaut. Dabei wurde auf Grund der Starkstromleitung darauf geachtet, dass – wo möglich – Armierungen vermieden und Faserbeton verbaut wurde. Zudem wurde eine neue Fundamenterdung mit Erdungsring um das komplette Gebäude errichtet und alle vorhandenen Armierungen und der Potenzialausgleich verschweisst und somit vernetzt und mit dem Erdungsring verbunden. Im Sommer 2013 wurde das Wohnhaus umgebaut, wobei die Elektroinstallation und das Tableau im Keller komplett erneuert wurden. Auch die neue Elektroverteilung des Wohnhauses wurde an den Erdungsring und somit mit der Fundamenterdung des Betriebs verbunden.

Im November 2013 wurden erste Verhaltensveränderungen an den Kühen beobachtet:

  • vermehrtes Aufhalten der Kühe im hinteren Drittel des Stalls;
  • Liegeboxen wurden merkbar weniger benutzt.

Ab Frühjahr/Sommer 2014 wurden folgende Symptome festgestellt:

  • die Kühe benutzten die Liegeboxen tagsüber nur noch selten, der Liegebereich wurde nur nachts genutzt;
  • nach dem Fressen wurde das Stehen im Laufhof dem Liegen in den Liegeboxen vorgezogen;
  • Kühe waren im Fressgitter sehr unruhig (Abkoten, Schwänzeln, Dribbeln);
  • vermehrt Klauenprobleme (v. a. Mortellaro und Ballenfäule durch lange Stehzeiten);
  • stark verschmutzte Tiere.

Im Melkstand konnten keine auffälligen Abweichungen festgestellt werden, der Melkstandboden ist mit Gummimattenausgelegt, die Milchqualität war in Ordnung.

Beteiligte Akteure, Herangehensweise und umgesetzte Massnahmen

Akteure Herangehensweise / Ursachenfindung und getroffene Massnahmen  Bewertung von Fachspezialist/innen¹
Beratung für Kuhverhalten Keine Ursachen erkennbar.
Umsetzung von Massnahmen zur Erhöhung des Kuhkomforts ohne Erfolg.
Eigenständige Prüfung Melkanlage Keine auffälligen Werte messbar.
Elektriker/in Mitte November 2014 fand eine Prüfung des inneren Blitzschutzes und der Erdungsverbindungen der Unterverteilung im Stall, dem Masthähnchenstall und den Hauptverteiler im Haus statt. Der innere Blitzschutz war in Ordnung, jedoch konnten Streuströme in den Verteilungen in allen drei Gebäuden festgestellt werden, wobei sich Ströme in der Hauptverteilung zwischen 150-500 mA bewegten. In der Nacht zeigten die Messungen deutlich tiefere Werte, was das vermehrt nächtliche Ablegen der Kühe erklärte. Die Streuströme sind lastabhängig sowie abhängig von der Symmetrie der 3 Aussenleiter (Polleiter):
Grosse Last grössere Streuströme;
Grosse Asymmetrie grössere Streuströme und dadurch auch Streuspannungen. (amo)
Erdungsverbindungen von Tableau zu Potenzialausgleich wurden getrennt (Hinweis: nicht zulässig!) Darf nur kontrolliert durch Fachleute erfolgen. Sonst besteht die Gefahr einer unkontrollierten Berührungsspannung! (Lebensgefahr) (amo)
Weitere/r Elektriker/in Um verlässliche Messungen durchführen zu können, wurde empfohlen, die Erdungsverbindungen wiederherzustellen. Durch die weiteren Messungen Ende November bestätigten sich die bestehenden Streuströme mit Werten zwischen 90-800 mA. Immer Streustrom und Streuspannung messen die Ströme allein, sind nicht massgebend und führen nicht zu Problemen. (amo)

Mit einem Tiefenerder im Erdreich wurde im Dezember 2014 versucht, die Erdungsverhältnisse zu verbessern.

Ein Tiefenerder hat in der Regel zwischen 10 und 20 Ohm und wird das Problem nicht lösen können.

Dazu müsste man einen Erder < 0.5 Ohm aufweisen. (amo)

Betriebsleiter Der Betriebsleiter führte zur Kontrolle regelmässige Messungen durch und stellte stets Werte zwischen 300 mA – 1.24 A im Haupttableau des Wohnhauses fest. Es bestand die Vermutung, dass über die Wasserleitung, die die Bahn kreuzt, Streuströme auf den Betrieb geleitet werden. Immer auch die Berührungsspannung messen, damit solche Aussagen in Relation gesetzt werden können. (amo)
Sämtliche metallische Wasserleitungen wurden mit Kunststoff-Zwischenstücken isoliert, um den Strom von der Bahn Richtung Betrieb zu unterbinden. Zusätzlich wurde der Potenzialausgleich an den Wasserleitungen demontiert.

Um Ruhe in die Herde zu bringen, wurden verschiedene Erdungen von der Erdungsanlage getrennt, wonach eine deutliche Besserung sichtbar war.

Wenn man den Erder isoliert und die Erdungen trennt, kann dies gefährlich sein.

Das darf nur durch eine Fachperson kontrolliert geschehen. (amo)

Vertreter/in des örtlichen Kraftwerkes In Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Kraftwerk konnte ein Mix aus 16 2/3 Hz (Bahnstrom) und 50 Hz gemessen werden. Bei den Messungen fiel auf, dass besonders bei der Durchfahrt der Bahn sehr hohe Werte von 1.2 A gemessen werden konnten. Es wird empfohlen, das ESTI einzuschalten.
Starkstrominspektorat ESTI Da nach den getroffenen Massnahmen stets hohe Werte gemessen wurden, wurden vom ESTI im März 2015 weitere Messungen durchgeführt, woraus ein Umsetzungskonzept erstellt wurde.

Es wurden verschiedene Anpassungen gemäss Umsetzungskonzept ESTI, eine sternförmige Elektroinstallation und ein zentraler Erdungspunkt erstellt, sodass jedes Gebäude für sich stand und Ausgleichsströme zwischen den Gebäuden unterbunden werden konnten.

Der Betrieb wurde nach Bewilligung des Netzbetreibers anschliessend vom üblichen terre neutre (TN)-Netz auf terre terre (TT)-Netz umgebaut. Somit ist der Betrieb von der Erdung des Netzanbieters getrennt. Mit dieser Massnahme konnten auch die Ausgleichströme zwischen Landwirtschaftsbetrieb, Netzanbieter und Bahn unterbunden werden. Der Betrieb verfügt nun über ein eigenes Erdungssystem.

Alle Voraussetzungen wie 100% Fehlerstromschutzschaltung und eine gute Erdung sorgten für kleinere Berührungsspannungen <1V und erträgliche Streuströme.

Der Inspektor prüfte die Anlage gemäss der Mitteilung des ESTI Streuströme in Tierhaltungsbetrieben. Dabei wurden auch Streuspannungen von ca. 3.8 V gemessen zu den Streuströmen, die auch ein Gemisch von 16.7 Hz und Oberschwingungen der 3.+ 5. + 7. harmonischen Oberschwingungen enthielten.
Alle Massnahmen wurden umgesetzt. Vom Elektroinstallateur wurde die Anlage kontrolliert und mit dem Sicherheitsnachweis (SINA) fertig gemeldet. Es empfiehlt sich vor dem Bau eine gute Planung mit Erdungskonzept durch einen Streustromspezialisten überprüfen zu lassen, so dass nach dem Bau möglichst keine Probleme auftreten. (amo)

¹Kürzel in Klammern hinter den Aussagen stehen für den jeweiligen Fachexperten der Plattform Streuströme.

Legende:
Herangehensweise
Massnahme

Nach der Umsetzung aller Massnahmen dauerte es ca. ein halbes Jahr, bis sich die Tiere an die neue Situation gewöhnt haben und sie wieder Vertrauen in die Aufstallungen gewinnen konnten. Sie wurden ruhiger, verteilten sich wieder normal auf die Anzahl vorhandener Liegeplätze und wirkten im Fressgitter entspannter.

Zu einem späteren Zeitpunkt wurde durch das ESTI eine Nachinspektion durchgeführt, um den Einfluss der Starkstromleitung auf das Stallgebäude abzuklären. Die Abklärungen ergaben, dass leichte Ableitströme am Gebäude messbar sind, diese aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht relevant seien.

Take Home Messages des Landwirts

  • Der selbst getragene Kostenaufwand von ca. CHF 10.000 für Inspektionen und Umsetzung der Massnahmen wurde innerhalb eines Jahres auf Grund der Gesundung der Tiere und dem Anstieg der Milchleistung schnell «zurückgezahlt».
  • Egal ob Neu- oder Umbau der Betriebsgebäude, Blitzschutz und Potenzialausgleich inkl. Elektroverteilung müssen mit Spezialisten, die über die nötigen Fachkenntnisse verfügen, geplant und vom Bauherrn nach Plan umgesetzt werden.
  • Die Erstellung eines zentralen Erdungspunktes ist auch bei älteren Gebäuden sinnvoll.
  • Für den Potenzialausgleich ist ein Elektriker mit Erfahrung in Landwirtschaft notwendig.
  • Die meisten Probleme sind physikalisch erklärbar, weshalb immer Fachpersonen herangezogen werden sollten.