Agrarökologie in der Schweiz
Das ist Agrarökologie
→ Entwicklung und Bedeutung der Agrarökologie
→ Prinzipien und Stufen der Agrarökologie
→ Agrarökologie in der Schweiz
Das Netzwerk Agroecology Works!
[Beitrag von Agroecology Works!, November 2024]
Der Verein Agroecology Works! ist das Schweizer Netzwerk für Agrarökologie. In dem Netzwerk sind zivilgesellschaftliche, landwirtschaftliche und akademische Organisationen sowie Einzelpersonen zusammengeschlossen, die davon überzeugt sind, dass eine grundlegende Transformation des aktuellen Landwirtschafts- und Ernährungssystems notwendig ist. Im Mittelpunkt des angestrebten neuen Systems sollen nicht die Profite einzelner mächtiger Akteure auf Kosten der Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur stehen sondern die Erde als lebendiger Organismus und die Menschen, die Lebensmittel anbauen, verarbeiten, handeln und konsumieren.
Agrarökologie dient Agroecology Works! als Leitbild für den Wandel hin zu einem nachhaltigen, gerechten und gesunden Ernährungssystem für alle. Das Verständnis von Agrarökologie ist in der internationalen agrarökologischen Bewegung verortet und basiert u.a. auf den 13 Prinzipien nach HLPE 2019 und der Definition von La Via Campesina. Das Netzwerk betont den systemischen Ansatz der Agrarökologie, der politische, wirtschaftliche soziale und ökologische Aspekte umfasst und den Fokus auf das gesamte Ernährungssystem legt. Das heisst, der angestrebte Wandel muss nicht nur ökologisch, sondern auch sozial gerecht sein. Dazu müssen die Lösungen partizipativ erarbeitet und an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden.
Agroecology Works! zeigt auf, dass Agrarökologie bereits an zahlreichen Orten gelebt wird und anerkennt, dass viele Menschen mit unterschiedlichen Begriffen – etwa dem biologischen Landbau, der solidarischen Landwirtschaft oder der Permakultur – für einen Wandel des Ernährungssystems eintreten. Das Netzwerk sucht den Schulterschluss mit diesen Akteuren, um die gemeinsame Vision voranzutreiben. Es bringt Akteure aus der Praxis, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft in der Schweiz zusammen, fördert den Austausch und die Sensibilisierung und regt zu gemeinsamem Handeln an. So hat das Netzwerk beispielsweise Empfehlungen erarbeitet, wie die Schweiz die Agrarökologie innen- und aussenpolitisch fördern soll.
Agrarökologie in der Bundesverwaltung
[Beitrag von Madeleine Kaufmann (BLW), Oktober 2024]
Der Bundesrat erachtet die Agrarökologie als entscheidenden Ansatz für die Erreichung der Transformation hin zu nachhaltigeren Ernährungssystemen [Ip. 21.3913; Ip. 21.4407] . Im Zentrum stehen die Nutzung lokaler, bäuerlicher Erfahrungen und die Förderung des Wissensaustauschs zwischen den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren, um nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken zu entwickeln. Agrarökologie zielt darauf ab, lokale und innovative Vermarktungsmodelle zu fördern, die Produzentinnen und Produzenten, Verarbeiterinnen und Verarbeiter sowie Konsumentinnen und Konsumenten stärker miteinander zu vernetzen und die Resilienz lokaler Ernährungssysteme zu erhöhen.
Die Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 des Bundes enthält Ziele zur Transformation der Ernährungssystemen mit entsprechenden Stossrichtungen für die nationale Ebene. Zur Stärkung der Resilienz der Ernährungssysteme verweist die Strategie unter anderem auf die Ausnutzung der agrarökologischen Prinzipien. Der Bundesrat hat die agrarökologische Prinzipien bei der Weiterentwicklung der Agrarpolitik berücksichtigt, insbesondere im Rahmen von nachhaltigen Produktionssystemen und Ernährungssicherheit (Bericht des Bundesrates, Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik, 22.06.2022).
Auch die 2024 veröffentliche Klimastrategie für Landwirtschaft und Ernährung 2050 bezieht die Agrarökologie mit ein. So sollen beispielsweise Innovations-, Beratungs- und Forschungsgelder sowie Investitionskredite verstärkt auf die Transformation des Ernährungssystems ausgerichtet werden und dabei die agrarökologischen Prinzipien berücksichtigen. Das eidgenössische Kompetenzzentrum für landwirtschaftliche Forschung, Agroscope, hat agrarökologische Produktionssysteme als eine der sechs langfristig zu verfolgenden Forschungsthemen identifiziert. Umgesetzt wird dies im derzeit laufenden (2022-2025) als im kommenden Arbeitsprogramm (2026-2029). Im Rahmen der Forschungsaktivitäten sollen agrarökologische Ansätze weiterentwickelt und in die Praxis überführt werden, um zu einer nachhaltigeren und resilienteren Landwirtschaft beizutragen.
Auf multilateraler Ebene spielt die Schweiz, insbesondere durch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), eine aktive Rolle bei der Förderung der Agrarökologie. Sie war eines der ersten Länder, dass die Agrarökologie-Koalition im Rahmen des UNO-Ernährungssystemgipfels 2021 unterzeichnete. Diese Koalition setzt sich das Ziel, agrarökologische Ansätze in den Bereichen Forschung, Politik und Investitionen zu stärken und zu fördern. Die Schweiz engagiert sich ausserdem in wichtigen multilateralen Organisationen wie der FAO, dem IFAD, dem WFP und dem CGIAR, um die globale Verbreitung von agrarökologischen Praktiken zu unterstützen.
Darüber hinaus hat das schweizerische nationale FAO-Komitee (CNS-FAO), eine ausserparlamentarische Kommission, ein Diskussionspapier «Pathways to Advance Agroecology: Overcoming challenges and contributing to sustainable food systems transformation» erarbeitet und für die internationalen Arbeiten zur Verfügung gestellt. Es betont die Bedeutung der Agrarökologie als zentralen Hebel zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der Schweiz. Agrarökologische Ansätze leisten einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung natürlicher Ressourcen, zur Förderung sozialer Gerechtigkeit und zur Stärkung wirtschaftlicher Stabilität in der Landwirtschaft. Der Übergang zu agrarökologischen Praktiken stellt nicht nur eine technische, sondern auch eine tiefgreifende soziale Transformation dar, die die Zusammenarbeit und Beteiligung verschiedener Akteurinnen und Akteure entlang der gesamten landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette erfordert.
Anmerkung: „Im Zuge der vom Parlament vorgeschriebenen Einsparungen im Eigenbereich der Verwaltung hat das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) vorgeschlagen, eine der beiden in seinem Bereich tätigen ausserparlamentarischen Kommissionen, das Schweizerische Nationalkomitee der FAO (CNS-FAO), im Jahr 2025 aufzulösen“ (25.7242).
Institut für Agrarökologie
[Beitrag vom Institut für Agrarökologie (IfA), April 2025]
Das Institut für Agrarökologie (IfA) ist ein unabhängiges Beratungsinstitut, das wissenschaftlich fundierte und praxisorientierte Lösungen für die Landwirtschaft und die Lebensmittelbranche entwickelt. Dafür nutzt das IfA agrarökologische Ansätze, die faktenbasiert, effektiv und wirtschaftlich sind. Das Institut für Agrarökologie legt besonderen Wert auf die Bedürfnisse seiner Kunden und Partner, wissenschaftliche Genauigkeit sowie systemisches Denken und Nachhaltigkeit.
Das Institut für Agrarökologie definiert Agrarökologie als Transformationspfad für die Gestaltung und das Management nachhaltiger Agrar- und Ernährungssysteme, die durch das Zusammenspiel von Wissenschaft, landwirtschaftlicher Praxis und sozialer Bewegung geprägt sind. Wegweisend sind dabei die theoretischen Arbeiten von Altieri (1995), Wezel et al. (2009), Gliessman (2016) und Tittonell (2023).
Agrarökologische Forschung wurde ab den 1970er Jahren zum Schwerpunkt der angewandten Agrarwissenschaften und ergänzte einerseits die disziplinäre Grundlagenforschung und andererseits die rein auf Produktion ausgerichtete Landwirtschaftsforschung, welche sich nach zwei Weltkriegen als grüne Revolution ausgedehnt hatte. Daraus entstanden lokal angepasste, diversifizierte Anbausysteme, welche wirtschaftlich und sozial kleinere und mittlere Familienbetriebe stärkten. Diese Entwicklung ging von den USA, über Lateinamerika nach Südeuropa, Afrika und Asien. Daraus entstand dann die politische Bewegung La Via Campesina, die weltweit für die lokale Sicherstellung der Ernährung (Ernährungssouveränität) und die Unabhängigkeit der Landwirtschaft von der Agrarindustrie kämpft. Heute versuchen auch Regionen mit intensiver Landwirtschaft in Europa unter dem Stichwort Agrarökologie ihre Landwirtschaft zu transformieren. Dabei gehört aber auch die Änderung der Ernährungsweise der Menschen zwingend dazu.
Agrarökologie wird am IfA als ganzheitlicher Ansatz verstanden, der in der ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Dimension von Landwirtschaft und Ernährung verankert ist. Angelehnt an Gliessman (2016) kann Agrarökologie in allen Produktionssystemen und von allen Akteuren genutzt werden, um gemeinsam und faktenbasiert nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Die zehn Elemente der FAO (2018) und die 13 Prinzipien des HLPE (2019) bieten eine universelle Grundlage, müssen jedoch regional spezifisch gewichtet werden. Von den Kernelementen oder den Prinzipien hin zu einer Landwirtschafts- oder Ernährungspraxis fehlen jedoch noch viele Umsetzungsschritte. Ein agrarökologisches Landwirtschaftssystem oder eine agrarökologische Ernährung können erst dann genau definiert werden, wenn die einzelnen Praktiken entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Detail bekannt sind.
Im Rahmen des Ressourcenprogramms «Agrarökologische Transformation» werden derzeit mehr als 100 Massnahmen untersucht, um den Transformationspfad zu beschreiben. Neben einem umfassenden Nachhaltigkeitsblick steht dabei insbesondere die Ko-Kreation von Wissen und Erfahrung im Mittelpunkt, um agrarökologische Prinzipien wirkungsvoll in die Praxis zu übertragen.
Quellen
Altieri MA (1995). Agroecology: the science of sustainable agriculture (2nd ed.). Westview Press. Boulder, USA.
Gliessman, S. (2016). Transforming food systems with agroecology. Agroecology and Sustainable Food Systems Volume 40, issue 3.
https://doi.org/10.1080/21683565.2015.1130765
Tittonell P (2023). A Systems Approach to Agroecology. Springer International Publishing AG. ISBN: 9783031429378 (393 p.)
Wezel A, Bellon S, Doré T, Francis C, Vallod D. & David C (2009). Agroecology as a science, a movement and a practice. A review. Agronomy for Sustainable Development 29(4): 503-515.
Weitere Organisationen und Personen, die sich mit Agrarökologie befassen, sind unter Akteure der Agrarökologie zu finden
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