Die Erfahrungsberichte schildern Fälle aus der Sicht einer Landwirtin oder eines Landwirts. In der Tabelle kommentiert ein/e Fachexpert/in den Fallverlauf.

Ausgangslage

Der Betrieb ist Teil einer Betriebsgemeinschaft und befindet sich in der Hügelzone. Total werden 65 ha bewirtschaftet. Bei den 80 Milchkühen wurde festgestellt, dass diese den Melkstand nicht gerne betraten und dass die Zellzahlen der Milch stets relativ hoch waren. Die erhöhten Zellzahlen waren allerdings nie so hoch, dass sie zu einer Milchliefersperre geführt hätten. Trotz gezielter Merzung von Tieren mit hohen Zellzahlen konnte langfristig keine Besserung erreicht werden, weshalb der Betrieb dem Problem auf den Grund gehen wollte. Aufgrund der Nähe zu einer 16‑kV-Freileitung und der Nähe zu einer Transformatorstation wurden Kriechströme als Ursache vermutet.

  • die Kühe betraten den Melkstand nicht gerne;
  • hohe Zellzahlen (300 000/ml).

Beteiligte Akteure, Herangehensweise und umgesetzte Massnahmen

Akteur Herangehensweise/Ursachenfindung und getroffene Massnahmen  Bewertung von Fachspezialist/innen¹

Bestandestierarzt

Da weder die Behandlung einzelner Kühe auf Mastitiden noch die gezielte Merzung eine nachhaltige Verbesserung brachten, wurden andere Möglichkeiten in Betracht gezogen. So wurden die Futtersilos und die Futterstation gereinigt und desinfiziert.

Diese Reinigungen der Futtersilos und die Futterstation erbrachten keine Verbesserung der Situation.

Melktechniker (MIBA)

Da keine Besserung erfolgte, wurde die Melkmaschine untersucht und kontrolliert, um mögliche negative Einflüsse durch die Melkanlage auszuschliessen.

Der Melktechnikexperte konnte keine Probleme finden.

Hofelektriker

Durch den Milchkontrolleur kam der Hinweis, dass Streuströme das Problem verursachen könnten. Infolge dessen wurden alle Elektroinstallationen und Erdungen durch den Hofelektriker überprüft.

Der Elektriker konnte keine offensichtlichen Fehler feststellen, allerdings empfahl er weitere Fachstellen hinzu zu ziehen, welche ein vertieftes Fachwissen im Bereich der Streuströme hätten.

Firma für Blitzschutz

Um vertiefte Messungen der Erdungen vorzunehmen wurde eine Firma aus dem Bereich Blitzschutz angefragt. Die Erdungen und leitfähige Strukturen wurden untersucht. Im Melkstand wurden Streuströme festgestellt und es wurde beanstandet, dass die automatische Kuherkennung im Melkstand „strahlen würde“.

Wie wurden die «Streuströme» festgestellt? Was bewirkten die Streuströme auf die berührbaren Strukturen im Melkstand? (aw)

Die Kuherkennung arbeitet mit passiven RFID-Chips, welche von aussen über ein Magnetfeld mit Energie versorgt werden müssen. Die Arbeitsfrequenz dieser RFID-Systeme liegt meist im Langwellenbereich. Die zu messenden Feldstärken liegen meist unterhalb von 10 µT. Die Magnetfelder können auch Ströme in anderen Strukturen induzieren. Wirkungen auf Mensch und Tier sind nicht zu erwarten. (aw)

Aufgrund der gefundenen Streuströme wurde die Erdung des Melkstandes angepasst. Da zudem die Kuherkennung als Problem ausgemacht wurde, demontierte der Betriebsleiter diese. Darauf ergab sich eine kurzfristige Besserung. Allerdings trat nach kurzer Zeit wieder die alte Situation ein.

Der Hofelektriker informierte den Landwirt bei einem Besuch, dass die Veränderung an der Erdung in dieser Art nicht erlaubt sei. Deshalb wurde die Vorgängige Anpassung wieder Rückgängig gemacht.

Unsachgemässe Veränderungen an der Erdung können zu schweren Unfällen führen und auch die Gebäudeversicherung beeinträchtigen. «Kurzfristige Verbesserungen» sind oft einem Interventions-Bias zuzuschreiben. Das bedeutet, dass von getroffenen Massnahmen ein Effekt erwartet wird. (siehe «Bias in kontrollierten Studien», Schmucker et al. 2020) (aw)

Freiberuflicher Elektroingenieur

In der Bauernzeitung wurde der Betriebsleiter auf ein Inserat aufmerksam, worauf diese Person kontaktiert wurde. Es konnten Streuströme festgestellt werden, worauf der Melkstand provisorisch separat geerdet wurde.

Infolge der Erdungsanpassung im Melkstand konnte eine Verbesserung festgestellt werden. Die Kühe betraten den Melkstand besser. Deshalb wurde die Erdung des Melkstandes definitiv angepasst. Via eine Potentialausgleichsschiene wurde der Melkstand auf ein Erdband geerdet. Dies erbrachte eine Besserung für 2 – 3 Monate.

«Streuströme» sind unerwünschte Ausgleichsströme, die über leitfähige Strukturen fliessen. Ausgleichsströme, die über die Elektroinstallation abfliessen, sind keine Streuströme. «Streuströme» haben keinen direkten Einfluss auf Mensch oder Tier, solange sie keine Berührungsspannungen zur Folge haben. Nach Literatur sollen Berührungsspannungen unter einem Volt liegen, weil unter diesem Wert keine Wirkungen auf Milchkühe nachgewiesen werden konnten. «Separates Erden» bedeutet nicht, dass allfällige Berührungsspannungen verschwinden. Im Gegenteil: Ausgleichsströme verringern die Berührungsspannungen. (aw)

ESTI

An einer Fachtagung wurde der Betriebsleiter darauf aufmerksam, dass das ESTI auch Betriebsuntersuchungen macht. Darauf wurde der Betrieb erneut durch das ESTI untersucht. Es konnte festgestellt werden, dass auf dem Betrieb zwei verschiedene Erdungssysteme vorhanden sind. Das Erdungskonzept des Betriebes sollte angepasst werden.

Der Betriebsleiter entschied sich für eine kosteneffiziente Lösung, wobei der Melkstand separat mit einem Tiefenerder geerdet wurde. Dabei half das ESTI bei der Planung und Umsetzung. Infolge dessen trat eine nachhaltige Verbesserung auf, die Zellzahlen sanken leicht und die Kühe kamen besser in den Melkstand.

Unterschiedliche Erdungskonzepte oder vermaschte Erdungen zeigen oft Ausgleichsströme. Diese stellen keine Fehler dar, solange die Berührungsspannungen unter einem Volt bleiben. Der Einbau von zusätzlichen Erdern führt dazu, dass die Ausgleichsströme umgeleitet werden. Da die Berührungsspannungen nicht untersucht wurden, kann die Aussage, dass eine nachhaltige Verbesserung aufgetreten sei, nicht eingeordnet werden. (aw)

Betriebsleiter

Da der Melkstand über Ankerschrauben sehr wahrscheinlich mit Armierungseisen verbunden ist, konnte das Problem nicht zur Gänze behoben werden. Da der Melkstand schon alt war, wurde er durch einen Roboter ersetzt.

Es wurde schon bei der Planung darauf geachtet, dass keine Streuströme auftreten können. Durch die bewusste Planung konnte eine Verbesserung erreicht werden. Die Zellzahlen sind auf einem normalen Niveau und die Kühe betreten den Roboter gut.

¹Kürzel in Klammern hinter den Aussagen stehen für den jeweiligen Fachexperten der Plattform Streuströme.

Legende:
Herangehensweise
Massnahme

Insgesamt zog sich die Problematik über 10 Jahre hin. Dabei wurde mit vielen verschiedenen Akteuren versucht das Problem zu lösen, wobei auch verbotene Anpassungen an der Elektroinstallation vorgenommen wurden. Falls andere Ursachen ausgeschlossen wurden und Streuströme vermutet werden, sollten deshalb direkt zertifizierte Kontrollstellen angefragt werden.

Obwohl die Ursache schlussendlich gefunden wurde, konnte diese nicht vollständig behoben werden. Dies lag daran, dass eine nachträgliche Veränderung des Erdungssystems sehr kostspielig ist. Das ESTI machte mehrere Vorschläge, wobei sich der Betriebsleiter für eine kosteneffiziente Variante entschied, bei der der Melkstand priorisiert wurde. Beim nachfolgenden Umbau achtete der Landwirt bereits bei der Planung auf die Problematik, wodurch Probleme durch auftretende Streuströme vermieden werden konnten.

Take Home Messages des Landwirts

  • Bei Problemen im Melkstand sollte die unabhängige Melkberatung des Verbandes benützt werden, welche für Mitglieder kostengünstig ist.
  • Falls der Verdacht auf Streuströme fällt, sollte direkt mit dem ESTI (oder einer anderen zertifizierten Kontrollstelle) Kontakt aufgenommen werden. Dadurch erübrigen sich Zwischenschritte, welche nicht den gewünschten Erfolg bringen.
  • Bei Planung sollte bereits auf eine Prävention vor Streuströmen geachtet werden. Dadurch können nachfolgende Probleme vermieden werden. Zudem ist eine nachträgliche Verbesserung schwierig und kompliziert.

Beitragsbild von Alexa/Pixabay